Perfektionismus betrifft viele Menschen – oft unbemerkt und schleichend. Was zunächst wie ein gesunder Ehrgeiz wirken kann, verwandelt sich nicht selten in überzogene Erwartungen, ständigen Stress und Selbstzweifel. Der folgende Text beschreibt eindrucksvoll, wie tief dieses Muster im Alltag verankert ist – besonders bei Frauen, Eltern und im familiären Umfeld.
Die stille Last des Perfektionismus im Alltag
Gut ist nicht gut genug. Fehler machen ist tabu. Keine Schwäche zeigen, nicht um Hilfe bitten.
Erfolgreich im Beruf sein. Eine gute Mutter sein.
Wie sieht es denn hier aus? Die Wäsche ist nicht aufgehängt, der Tisch nicht abgewischt und heute muss noch gestaubsaugt werden. Der Keller sollte längst aufgeräumt, die Küche renoviert und der Wasserhahn repariert sein.
Die Freunde sollten öfter eingeladen werden.
Zum Geburtstag muss der Kuchen selbstgebacken sein und zum Valentinstag reicht ein Blümchen sicher nicht.
Wann macht er mir eigentlich einen Heiratsantrag?
Wenn ich ihr einen Antrag mache, dann muss es schon ein ganz besonderer Moment sein.
Die Hochzeit soll der schönste Tag im Leben werden.
Das Kleid muss perfekt sitzen und meine Figur – oje.
Ganz ehrlich: Mir kommt das alles so rückschrittig vor. Waren wir nicht schon mal weiter und emanzipierter? Ich dachte, wir hätten uns weitgehend von überholten Konventionen befreit?
Leider ist das perfektionistische Denken offenkundig auf dem Vormarsch. Die haushohen Erwartungen und der Leistungsdruck sind schlimmer denn je. Immer mehr Menschen geraten in diese Falle. Und vielleicht ist Perfektionismus auf eine Art auch ansteckend. Man möchte mithalten, bei den anderen läuft doch auch immer alles glatt.
Die eigene Überforderung wird häufig abgewertet, als habe sie keine Berechtigung. Es wird sich nicht an eigenen Maßstäben gemessen oder in sich hinein gehört. Es gelten unechte, unerreichbare, meist gefakte Bilder und Geschichten auf Sozial Media als Vergleich. Aber auch die Nachbarn, die Kollegen oder Komelitonen und sogar die Freunde werden zu Konkurrenz. Das passiert alles wider besseren Wissens. Achtsamkeit und Kooperation sind eigentlich längst en Vogue.
Der innere Antreiber – und wie wir ihn entkräften können
Wenn jetzt immer noch jemand stolz sein sollte, auf seine oder ihre 120-prozentige Art, dann möchte ich noch erwähnen, wie anstrengend es sein kann, mit einem Perfektionisten zusammenzuleben. Er oder sie hat ja oft nicht nur an sich selbst so hohe Ansprüche, sondern häufig eben auch an den Partner oder die Partnerin. Und schlimmer noch: an die Kinder. Das verbreitet Stress und Druck und untergräbt das Selbstbewusstsein.
Am meisten setzen perfektionistische Menschen aber sich selbst unter Druck. Sich als Familienmitglied davon abzugrenzen, ist auch nicht immer leicht. Und jemand, der ständig unter Druck steht und gestresst ist, verbreitet auch keine gute Laune.
Natürlich gibt es auch äußere Gegebenheiten, die es heutzutage, besonders Familien, nicht leicht machen. Das Geld muss verdient werden, der Haushalt gemacht und die Kinder versorgt sein.
Aber was ist bloß los, dass sich, laut Statistik, über die Hälfte der Eltern chronisch überlastet fühlen? Ich glaube, es ist an der Zeit, unsere Inneren Antreiber zurückzupfeifen. Es geht nicht darum, ins Gegenteil zu verfallen und sich komplett gehen zu lassen. Schon gar nicht geht es darum, die Schuld nur bei sich selbst zu suchen. Es gibt auch Missstände im System, die nicht klein geredet werden dürfen.
Aber einige unserer inneren Glaubenssätze gehören eben auch dringend auf den Prüfstand.
Bin ich wirklich nur für meine Leistungen liebenswert?
Bin ich egoistisch, wenn ich mich abgrenze?
Darf ich wirklich nie jemanden enttäuschen – geht das überhaupt?
Muss mein Körper durchtrainiert sein, bin ich sonst faul?
Bin ich wirklich und ganz alleine schuld, wenn mein Kind Probleme hat?
Ist jeder seines Glückes Schmied?
Kann man wirklich alles erreichen, wenn man nur will?
Bin ich ein schlechter Mensch, wenn ich mal nichts tue?
Es gibt Druck von Außen, ganz klar. An mancher Situation können wir auch tatsächlich kaum etwas ändern. An anderer Stelle sollten wir manchmal mutiger sein. Uns zusammen tun vielleicht.
Es gibt aber eben auch Druck von Innen. Und an dem können wir mit Sicherheit etwas ändern. Uns bewusst machen, wie wir uns Druck machen, das wäre der erste Schritt. Wie sprichst du innen drinnen mit dir selbst?
Aber ich möchte an dieser Stelle alle PerfektionistInnen warnen: Auch bei dieser Übung kann sich das Muster zur Hintertür wieder hereinschleichen. Dann verurteilen wir uns dafür, dass wir uns wieder zu sehr angetrieben haben oder wir schelten uns innerlich dafür, dass es uns nicht gelungen ist entspannter zu sein oder Pausen zu machen.
Also: Lieb sein, vor allem mit dir selbst!